DOROTHEA SELCHOW
Die tägliche Talkshow auf GaMB TV |
"Auf, auf meine Lieben !" schallte es Dienstags und Donnerstags über den
Schulhof. Das war das Signal für das Publikum des GM-Grundkurses, im
Kursraum Platz zu nehmen. Nun begann sie, die ultimative Talkshow, in der
nicht die Gäste zu Wort kommen, dafür die Talkmasterin um so mehr. Unter
mehr oder minder enthusiastischen Ovationen betrat sie dann endlich die
Bühne. Sie kannte das Publikum persönlich, wußte über die kleinen
Eigenheiten des Einzelnen Bescheid und hatte stets einen lockeren Spruch auf
den Lippen mit dem sie ihr Publikum zur Raserei bringen konnte. Sie hatte
sich immer auf das aktuelle Thema der Show vorbereitet. Während sich andere
Talkshows mit Fragen wie "Meine Freundin ist ein Mann", "Mein Partner ist
mir peinlich" oder "Wie besiege ich meine Zellulitis?" beschäftigen, ging
es bei Dorothea um wirklich interessante Sachen wie "Der neue Kurs der SED",
"Währungsreform in Timbuktu" oder um persönlich-soziale Probleme wie "Warum
kommt keiner pünktlich in den GM-Unterricht?" oder "Was ihr euch fürs Abi
merken müßt".
Als große Menschenkennerin sagte sie dem Publikum die zu
erwartende berufliche Laufbahn voraus ("Banu wird mal Stummfilmstar").
Dorothea ließ in ihrer Show keinen zu Wort kommen, außer sich selbst, doch
manchmal durfte das Publikum auch einen Beitrag zum aktuellen Thema leisten,
allerdings nur, wenn dieser nicht länger als vier Sekunden dauerte, sonst
wurde man jäh durch wissenschaftlich fundierte Aussagen unterbrochen
("Stimmt !", "Genau !", "Richtig !", "Hast Recht !", "hmmh !"), teils auch
in der Fremdsprache ("Yes Yes !"), was ihr außerordentliches Sprachtalent
zeigte. Ein Zuspätkommen zur Show empfand sie stets als einen Angriff auf
ihre Persönlichkeit und ahndete es mit einer Notiz im Drehbuch - da konnten
5 Minuten leicht zu 30 werden !
Wie alle Moderatoren hatte auch sie einen Sponsor für Kleidung, meistens
Neckermann, und sie verfügte über eine Masse von mindestens 3-4 Modellen
aus der aktuellen Kollektion für die moderne Hausfrau (geblümt oder
kariert), die sie häufig mit ihrem gestrickten, braunen Bademantel, Modell
Trümmerfrau, direkt aus dem Nachkriegsdeutschland importiert, kombinierte.
An den modisch-peppigen Brillen erkannte man ihr Vorbild Illona Christen und
die stets unveränderte Haarfarbe (schwarz ? - seit 7 Jahren ?) unterstrichen
ihre Seriosität. Da der größte Teil ihres Publikums seit 7 Jahren
zwangsverpflichtet war, ließ sie es sich nicht nehmen, uns mit der Zeit
lustige Spitznamen zu geben (Pialein - du kleines Mampfimonster, Clairchen,
Herr von Bödefeld, Schweiger-Till, Ralfi, Ben usw.). Sie war für uns wie
eine Ersatzmutter, die sich rührend um uns sorgte ("Solange du die Füße
unter mein Pult setzt !", "Wenn du so weitermachst, landest du bei Hertie an
der Kasse"). Unser Engagement honorierte sie mit attraktiven Sachpreisen,
wie der goldenen Kaffeekanne für Tobias oder einen Freiflug auf den Flur für
Claire. Damit Dorotheas interessante Ausführungen einem jeden im Gedächtnis
blieben, hatten wir unser kleines Diktiergerät Yvonne-Kelly-Bundy-Schrumpf,
die es sich nicht nehmen lies alles, aber auch wirklich alles zu wiederholen
was Dorothea von sich gab und das mit einer sympathischen Lache bis zum
hohen C, bei dem die Capri Sonne-Tüten auf den Tischen bedenklich
vibrierten. Außerdem verstand sie es, interessante Geschichten aus ihrem
Privatleben zu berichten (z.B. "Das Loch wird auch immer größer" - zum Thema
Schuldenberg). Unser Sachverständiger Hans Walter L., der zu jedem Thema
schon einen Bericht gesehen hatte ("Ich hab da mal einen Bericht gesehen!")
trug viel zur Sendung bei, genau wie Freund Ben ("Ja gut, ähh") half, die
Show interessanter zu machen. Korruption gab es bei ihr nicht, was sie
deutlich von anderen Talkshowmastern unterschied, z.B. ließ sie sich nicht
durch liebevoll gestaltete Papierblümchen (gell, Tinke !) zu besseren Noten
überreden und auch die schwere Tasche trug sie lieber selbst, statt
Gepäckboy Tobias mit besseren Noten zu entlohnen. Ihre Bewertung war hart,
aber ungerecht ("Die Hälfte kriegt mündlich 0 Punkte"). Hatte sie die
Sendung einmal begonnen, hieß es für das Publikum 45 Minuten durchzuhalten.
Ohne Werbeunterbrechung ! Einige allerdings lenkten sich mit dem Verzehr von
Joghurt ab, oder unterhielten sich mit dem Banknachbarn. Wie auch immer,
irgendwann ging jede Sendung zu ende und unser Vertrag als
zwangsverpflichtetes Publikum läuft aus. Nun wird eine neue Generation
gesucht, die genauso masochistisch veranlagt ist wie wir und sich
bereitwillig Dorotheas Dauermonologen hingibt.
Zum Schluß noch einige nützliche Tips für ihre weitere Fernsehkarriere:
- Bademantel in die Altkleidersammlung
- lassen sie auch mal andere zu Wort kommen
- auch "Otto - find ich gut!"
- übernehmen sie die Ariel-Werbung von Illona
In diesem Sinne passen sie auf sich auf!
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