DR. U. SCHMIDT
oder
Wie ich lernte, den Computer zu lieben |
"Irgendein Freitag, Systemzeit 13 Uhr 25 Minuten und 0,0 Sekunden, Beginn der
siebten Unterrichtsstunde. Wir befinden uns vor dem
Informatikhochsicherheitstrakt des Gymnasiums am Mosbacher Berg und warten
gespannt auf unseren Lehrmeister. Etwa 1 Milliarde Takte eines Intel82541
später... dem Mann, mit der wunderbaren Krawatte, grell bunten Socken und
der Macht, die mächtige Stahltür zu öffnen, ist doch noch eingefallen, daß
er etwas zu verrichten hat, was in seinen Kreisen Unterricht genannt wird. So unterbricht
er daher seinen Kaffeeklatsch im Lehrerzimmer und begibt sich in den
Informatikbereich. Lässig zieht er seine ID-Karte2 durch den
Magnetkartenleser und tippt beinahe synchron seine PIN3 in eine
Tastaturmembran. Es herrscht Stille. Nur das angenehme, hochfrequente
Piepsen bei jedem Tastendruck ist zu hören. Jetzt fehlt nur noch der
Netzhautscan und die Spracherkennung. "Computer! Schmidt, Uwe.
Sicherheitscode Delta 5,6 Omega 3. Erbitte Zugang zum Computernetzwerk!"
Ein Alarmsignal ertönt, die massiven Stahlbolzen im Inneren der 30cm starken
Tür schnellen mit einem dumpfen Schlag zurück und geben diese frei.
Schwusch... Luft dringt ins Vakuum des zuvor hermetisch abgeriegelten
Raumes. Nachdem jeder weiße Anti-Statikkleidung angelegt hat, kann es
losgehen... wir betreten den heiligen Raum mit den 8 "Intel
Klamath4"-Netzwerkrechnern mit ei-nem "Klamath MMX Pro"-Server5. Sofort
setzt jeder seine Arbeit fort. Beispielsweise ein Projekt, das sich mit
künstlicher Intelligenz befaßt und Nachbildung neuraler Netze mit dem
Computer...."
Moment mal, viele Schüler werden sich nun fragen, soll ich Informatik
tatsächlich belegen? Läuft das wahrhaftig so ab? Nein, das, was hier
beschrieben wurde, sehr geehrter Leser, entspricht keineswegs der Wahrheit.
Lediglich Schmidts 15minütige Verspätung, die Söckchen und seine Krawatte -
letzte Zeit trägt er zu seinem Anzug bloß ekelorangene Pullis - sind nicht
erlogen. In Wirklichkeit ist alles anders... viel schlimmer...
Die erste Grausamkeit besteht darin, daß lediglich ein 386er-Netzwerk mit
486er-Server existiert. Zum Teil ist das aber auch von Vorteil, da man so
beim Compilieren6 von einem Dutzend Byte7 Pascal-Quellcode8 gemütlich eine
Kaffee- oder Pinkelpause einlegen kann.
Nein, jetzt mal im Ernst. Eigentlich war der Unterricht bei Uwe Schmidt
genial. Unsinnige Variablennamen waren an der Tagesordnung. Unstrukturierte
Programmierung kein Problem, da Schmidt letztendlich nur das Ergebnis
interessierte. Man lernte, Doom9 in einem 10x10 Pixel10 großen
Bildschirmausschnitt zu spielen. Projektbesprechungen arteten oft in
philosophischen Betrachtungen der Sublimation11 aus. Alles in allem gab es
immer etwas zu lachen, die Stimmung im Kurs war stets angenehm, was aber
auch kein Wunder ist, wenn sich ein Teil der Kursteilnehmer vorher noch ein
paar Bierchen reingepfiffen hat.
Trotz Schmidts lockerer Unterrichtsgestaltung - das geht sogar so weit, daß
er Arbeiten zu Hause liegen läßt - kann man nicht behaupten, nichts gelernt
zu haben. Man erwarb Einblicke in neue Datenstrukturen. Vom "Array12" bis
zur "Zeigervariable13". Zudem trug Uwes Unterrichtsmethode immens zur
Motivation der Kursteilnehmer bei... zumindest teilweise. Leider ist es nie
gelungen, ein Projekt richtig fertigzustellen. Da wäre beispielsweise eine
(im Nachhinein betrachtet doch langweilige) Geschichtssimulation zu
erwähnen, die sich mit der Industriellen Revolution, sowie der Anhäufung
und dem Verzehr von Korn - in welchem Aggregatzustand auch immer - befaßte.
Immerhin sah die grafische Oberfläche ganz nett aus, wenn auch nichts
funktionierte. Oder die Messung des Luftdrucks und Auswertung des
Druckverlaufs per Computer. Hierbei fehlte das Wichtigste: Der Drucksensor.
Somit blieb es hier bei einer 8-Kanal Spannungsmesskarte, die man nun
höchstens als Batterietester benutzen kann.
Aber das alles war noch kein Grund zur Verzweiflung. Die Hauptsache war, daß
man seinen Spaß hatte. Doch leider sollte sich dies im Halbjahr 13/2 ändern.
Man erfuhr rechtzeitig nach dem Abgabetermin der Abwahlzettel, daß ein
Lehrerwechsel stattfinden sollte. Wir sahen in dem Vorgehen der
Schulleitung, uns kurz vor dem Abi den für die Informatik prädestiniertesten
Lehrer zu entziehen, keinerlei tieferen Sinn. Das Schlimme und
Furchteinflößende daran war, daß es eine Lehrerin - nein, Sie haben sich
soeben nicht verlesen und sind im übrigen nicht auf einen Druckfehler
gestoßen! - den Unterricht weiterleiten sollte. Das klang einfach paradox!
Frauen14 und Computer?!? Wie paßt denn das zusammen? Das ist, als ob man
eine CD-ROM15 in einem Streamer16 einlegen wollte. Die Verbindung Frau und
Computer war für uns wirklich unvorstellbar. Eher wäre es möglich, einem
Blinden durch einen Sehtest 100%ige Sehfähigkeit zu zertifizieren, als daß
man einem weiblichen Wesen eintrichtern könnte, eine Computermaus17 nicht
als Bedrohung anzusehen und somit nicht in Panik zu geraten. Als Ausgleich
für diese Greuel malten wir uns aus, einen weiblichen Lehrer in
Playmate-Statur zu erhalten, doch erlebten wir auch in dieser Hinsicht eine
herbe Enttäuschung.
Überraschender Weise mußten wir allerdings feststellen, daß sich die besagte
Lehrerin, Frau Bielig-Schultz, hervorragend mit Computern und Informatik18
auszukennen scheint - wahrscheinlich besser als Schmidt - und sich nicht
anstellt wie ein Höhlenmensch in der Neuzeit. Dennoch blieben wir bei
unserer (an sich doch ganz vorurteilslosen) Ansicht, Frauen haben soviel
Ahnung von Computern, daß sie fähig sind den Monitor oder die Tastatur zu
reinigen. Denn schließlich bestätigen Ausnahmen die Regel!
Natürlich bot das Halbjahr 13/2 nicht genug Zeit, um unsere neue Lehrerin
näher kennenzulernen, aber ein großer Unterschied zu Schmidt wurde schnell
deutlich: Der Unterricht artete regelrecht in Arbeit aus, man wurde
tatsächlich gefordert, was nicht unbedingt als schlecht empfunden werden
muß. Es war nur recht ungewohnt nach einigen Jahren "Schmidtscher
Informatik". Dieser Bericht soll nicht den Eindruck erwecken, der
Unterricht bei Fr. Bielig-Schultz sei unerträglich, und es soll keinen
interessierten Schüler davon abhalten, Informatik zu belegen. Es ist ja
nicht so, daß Strenge herrschte und kein Späßchen mehr erlaubt war... es war
eben anders.
Schmidts Unterricht scheint, einzigartig auf dem Gymnasium am
Mosbacher Berg zu sein, so daß man ihm direkt Kultstatus zuschreiben könnte.
Für diejenigen, die es interessiert, wer die Teilnehmer des Informatikkurses
waren, hier eine ganz kurze Retrospektive:
Zu Anfang der Jahrjangsstufe 12 bestand der Kurs aus Agnes, Alex B., Andy
W., Daniel, Jens, Manuel, Matthias, Michael, Ralf-Marco, Stefan und Zwobbl.
Aus unersichtlichen Gründen waren davon in der 13 lediglich noch Andy, Jens,
Ralf-Marco und Zwobbl übrig.
(Solch eine Kursgröße eignet sich übrigens
ausgezeichnet für diverse Doom-Sessions.)
Glossar
Für Leute, die in Sachen Computer und Technik nicht allzu sehr bewandert sind, seien hier einige, schleierhafte Begriffe näher erläutert:
1 Intel8254 Timer-Chip im PC, 1193180 Takte entsprechen einer Sekunde
2 ID-Karte Identifikations-Karte
3 PIN Persönliche Indentifikationsnummer
4 Intel Klamath Intels neueste Prozessorgeneration, sozusagen der Pentium Nachfolger
5 Server Rechner, der das Netzwerk am Leben hält oder halten sollte
6 Compilieren Umwandlung von Quellcode (siehe 8) in, für den Computer verständliche, Sprache
7 Byte Speichereinheit bestehend aus 8 Bits
8 Quellcode Logische Beschreibung eines Programmablaufs durch gewisse Befehle, für den Computer jedoch nicht verständlich
9 Doom Kindgerechtes, Family-Jump-And-Run Spiel, Prädikat wertvoll!
10 Pixel Abkürzung für "Picture Element", zu deutsch: Bildpunkt
11 Sublimation Verdrängung des Geschlechtstriebes durch geistige Tätigkeit
12 Array Datenfeld (auch mehrdimensional), vergleichbar mit einer Matrix aus der Mathematik
13 Zeigervariable Platzhalter, der den Aufenthaltsort bestimmter Daten im Speicher enthält
14 Frau Geschöpf, an dem die technische Entwicklung - vorallem auf dem Computersektor - vorbeirauscht wie ein Hochgeschwindigkeitszug
15 CD-ROM Silberscheibe, die wie eine normale CD aussieht, jedoch keine Audio-, sondern Computerdaten enthält
16 Streamer Bandlaufwerk, einem Tape-Deck ähnlich, das zur Sicherung großer Mengen, wichtiger Computerdaten dient
17 Computermaus Neben der Tastatur das wichtigste Eingabegerät in der Computerwelt, zudem völlig harmlos und ohne Fell
18 Informatik Wissenschaft von der automatischen Informationsverarbeitung mit Hilfe von Computern
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